Astrid Emmert besucht Europas erstes und einziges Handmühlenmuseum im brandenburgischen Kuhlmühle, wo früher eine Wassermühle am Abfluß des Großen Baalsee stand.
OYA Ausgabe 33/2015
von Astrid Emmert
Auf einem waldig, am See gelegenen Gelände in Kuhlmühle bei Wittstock an der Dosse schaffen die rund 40 Mitglieder des Vereins „Coolmuehle“ seit vier Jahren aus alten Gebäuden einen Ort für ökologisches, generationsübergreifendes Wohnen. Eines der Häuser bewohnen 600 Handmühlen, gehegt und gepflegt von dem 73-jährigen Bildhauser und Filmausstatter Joost van der Velden, der zwischen Kuhlmühle und Berlin pendelt.
Handmühlen versetzen mich in Küchenszenen aus meiner Kindheit: Auf der Arbeitsfläche sitzend, helfe ich meiner Mutter dabei, Nüsse für den guten Schoko-Nuss-Kuchen zu zermahlen; dafür wird die Küchenmühle aus der Schubalde geholt und neben meinen baumelnden Füßen festgeschraubt. Während meine Mutter die Handkurbel bedient, darf ich den hölzernen Stopfer nach unten drücken und immer neue Ladungen Nüsse einfüllen. Eine gemächliche Arbeit; dennoch wuchs der Haufen in der Schüssel in beachtlichem Tempo. Ganz anders ging es zu, wenn die elektrische Getreidemühle in Betrieb war: Laut war das! Meine Geschwister und ich wollten noch lauter sein und stimmten unseren Mühlegesang an: „Nee niii nor niii, neee nii nor niii …“ Dabei drehten wir uns im Kreis, bis uns schwindelig wurde.
Angesicht der vielen Mühlen in den Regalen des Kuhlmühler Museums kann einem auch schwindelig werden: Da reihen sich Fleischwölfe an Teigportionierungsmaschinen, neben heimischen Getreide-, Kartoffel-, Semmel-, und Kaffeemühlen stehen exotische Exponate wie eine Knoblauch-, eine Parmesan-, eine Gebets- und eine eigens aus den USA eingeflogene Eichelmühle. Selbst eine handbetriebene Eismaschine thront im Regal. Stolz präsentiert Joost van der Velden zwei Kirschentkerner: der eine lässt die Früchte beim Entkernen heil, der andere zerquetscht sie gleich kochfertig – und schafft, so der Mühlensammler, „ein Kilo Kirschen pro Minute!“ Noch mehr begeistert ihn der Maisentkerner: der Maiskolben wird hineingezogen, und die Körner fallen links, der nackte Kolben rechts unten wieder heraus. „Das nenne ich menschengerechte Technik: simpel und höchst effizient!“ kommentiert Joost.
Meine Kindheitserinnerungen noch im Kopf, überrascht es mich nicht, im Museum Kinder herumtollen zu sehen. Sie bringen Musikmühlen zum Klingen und drehen eifrig die Kurbel einer Tabakschneidemaschine, in die sie Papier gesteckt haben. Vielleicht sagt ihre Freude an den Mühlen etwas Wesentliches über diese alte Kulturtechnik aus: Was oben hineingegeben wird, kommt unten in völlig veränderter Form wieder heraus – auf intuitiv verstehbare Weise, greifbar und begreifbar durch das Tun der eigenen Hände.
Bei einigen der Handmühlen, die Joost ersteigert oder auf Flohmärkten gefunden hat, wusste zu Beginn weder der Verkäufer noch er selbst, wofür sie einst gemacht wurden. Doch immer kam irgendwann jemand ins Museum, blieb vor der jeweiligen Mühle stehen und rief: „Ach, genau so eine hatte meine Großmutter!“ Die Parmesanmühle zum Beispiel identifizierte eine italienische Besucherin.
Für den Handmüller sind seine teils 150 Jahre alten Exponate wichtige Bestandteile einer postfossilen Zukunft. Sie sollen dazu anregen, unser lineares Verständnis von Fortschritt und Entwicklung zu hinterfragen. Ja, einmal in Benutzung, sind Handmühlen eine feine, enkeltaugliche Sache! Doch was tun, wenn sie irgendwann zu alt zum Mahlen geworden sind? Die kleinen Manufakturen, die sie einst entwickelten, haben sich in große Aktienunternehmen verwandelt und beliefern die Industrie heute mit Granulationsmaschinen und Walzenpressen. Selbst hinter den wenigen heute noch hergestellten Handmühlen stecken – wüchse Metall doch nur an Bäumen! – lange, schmutzige Wertschöpfungsketten. Da empfiehlt es sich doch, alte Mühlen zu bergen, sich mit ihrer Mechanik vertraut zu machen, um sie gegebenenfalls reparieren zu können. So hält es Joost van der Velden, der auf seiner Werkbank schon so mancher Mühle neues Leben eingehaucht hat.
Zu Hause lasse ich den Blick durch meine Seminarküche wandern: Noch ist sie ganz normal mit Stabmixer, Rührgerät, Schneidemaschine etc. ausgestattet, aber sie soll sich nach und nach in eine postkollapsfähige, energieautarke Allmendeküche verwandeln.
Transformation fängt beim Kochen an! Wer hat nicht zufällig noch eine Handmühle auf Großmutters Dachboden stehen? Herunter damit in die Küche! Auf dass wir uns unabhängig machen vom Saft aus der Steckdose und stattdessen unseren eigenen Saft aus der Tutti-Frutti Handmühle gewinnen!